Wie wollen wir in Zukunft wohnen, als Gesellschaft mit einem zunehmenden Anteil älterer Menschen und als Individuen, wenn wir im Alter vielleicht Unterstützung, möglicherweise Pflege brauchen, wodurch Alltagsleben und der Verbleib in der eigenen Wohnung schwieriger werden?

Viele denken bei Alternativen zur privaten Wohnung an das Senior:innen-Haus. Aber die Diskussion in der Immobilienwirtschaft und in der Alternsforschung weisen gleichermaßen darauf hin, dass Wohn- und Pflegehäuser keine nachhaltigen Wohnformen sind, weder aus ökonomischer Sicht noch aus der Gesundheitsperspektive. Sie entsprechen auch immer weniger den Vorstellungen und Wünschen einer individualisierten Gesellschaft.

Im höheren Alter nimmt die Bedeutung der eigenen Wohnung zu. Menschen über 70 verbringen einen Großteil der Zeit in der eigenen Wohnung und in deren Nahbereich. Die Wohndauer beträgt bei älteren Menschen oft mehr als 20 Jahre in derselben Wohnung. Die Wohnumwelt wird zu einem Raum voller Erinnerungen, aufgeladen mit Bedeutung für die eigene Identität. Der Privathaushalt wird zum zentralen Ort, an dem sich selbstständiges Wohnen und Identität verbinden und zum Ausdruck bringen lassen. Das trägt zum Wohlbefinden, zur Lebensqualität und letztlich zu einem gesunden Altern bei, ein Befund, den ein seit vielen Jahren entwickelter Ansatz in der ökologisch orientierten Psychologie des Alterns stützt.

In der modernen Gesellschaft ist Wohnen ein zentraler Bereich individualisierter Lebensführung. Mit Bezug auf Wohnen bedeutet Individualisierung das Verfügen über und Gestalten von Privatraum. Und es meint die Freiheit, mit anderen Menschen in geselligem Kontakt sein zu können. Im Alter tritt neben der Selbstbestimmung (Autonomie), wie sie mit dem Verfügen über den eigenen Raum erlebt wird, ein Bedürfnis nach Sicherheit stärker hervor. Privatheit und Geselligkeit, Selbstbestimmung und Sicherheit bilden Dimensionen, in denen sich soziales Leben individuell entfaltet.

Auch im Alter ist das Privatwohnen die dominante Wohnform. Als Ergänzung zum Wohnen im Privathaushalt werden in der Fachwelt darüber hinaus eine Reihe von Wohnformen entwickelt und diskutiert, die eines gemeinsam haben: Sie wollen als Alternative zu Wohn- und Pflegehäusern das selbstständige und selbstbestimmte Wohnen so weit wie möglich unterstützen und dabei etwas zur Lebensqualität und Lebenszufriedenheit beitragen, auch wenn Pflege- und Betreuungsbedarf besteht. Sie unterscheiden sich allerdings in dem Mischungsverhältnis von Privatheit und Geselligkeit, Selbstbestimmung und Sicherheit.

Die Studie „Alternative Wohnformen 2022“

In einer Studie für den Fonds Soziales Wien zum Thema alternative Wohnformen sind wir der Frage nachgegangen, welches Wohnangebot aus Sicht von Senior:innen heute gewünscht wird, worauf es beim Wohnen ankommt, welches Wissen, aber auch welche Befürchtungen und Vorbehalte es gegenüber Alternativen zum vertrauten Wohnen im Privathaushalt gibt.

Konkret wurden vier Wohnangebote untersucht. Drei sind eher am Normalwohnen orientiert. Die vierte stellt eine gemeinschaftliche Wohnform dar. Die vier Wohnformen sind:

  • Das betreubare Wohnen: Eine kleine barrierearme Wohnung mit Sanitärräumen und Küche. Über den Mietvertrag hinaus können bei Bedarf Betreuungs- und Pflegeleistungen über einen Träger gebucht werden, der mit dem:r Vermieter:in kooperiert. Zusätzlich verfügen die Wohnungen über ein Notfallmeldesystem (z.B. einen Notfallknopf). Ein Gemeinschaftsraum im Wohnhaus soll regelmäßige Gemeinschaftsangebote (z.B. Bastelworkshops oder Kaffeetrinken) ermöglichen.
  • Das teilbetreute Wohnen im Garçonnièrenverbund: Bis zu 15 barrierearme Garçonnièren, die durch ihre räumliche Nähe (z.B. gemeinsamer Gang oder Stiege) verbunden sind. Der Verbund verfügt nicht nur über Gemeinschaftsräume, sondern auch über einen Stützpunkt für mobiles Pflege- und Betreuungspersonal sowie über ein gemeinsam nutzbares Pflegebad mit großem Stauraum.
  • Das betreute Wohnen in Wohn- und Pflegehäusern: Eine kleine, barrierefreie Wohnung mit Küche und Sanitärräumen, die sich in der Nähe oder in einem Wohn- und Pflegehaus befindet. Die Bewohner:innen können das Angebot des Hauses (Wäsche und Reinigung, Essen, Infrastruktur wie Friseur und Kaffeehaus, ärztliche Versorgung) nutzen. Es gibt bedarfsorientierte Unterstützung bei den Aktivitäten des täglichen Lebens. Über die Hausordnung wird der Tag stark strukturiert (Essenszeiten, Veranstaltungen)
  • Das Wohnen in einer betreuten Senior:innen-Wohngemeinschaft: Ein Zimmer in einer barrierearm ausgestatteten Wohngemeinschaft für 3 bis 8 Personen mit gemeinsamen Wohnzimmer, gemeinsamer Küche und teilweise Freiflächen. Toiletten und Bäder sind für gemeinsame Benutzung vorgesehen. Es gibt Begleitung für das Gemeinschaftsleben, punktuelle Hilfestellungen bei organisatorischen und persönlichen Anliegen und bei Bedarf Unterstützung durch mobile Dienste.

Um ein möglichst umfassendes Bild zu den Wohnformen zu erhalten, wurden die Perspektiven potentieller Bewohner:innen, von Expert:innen und von Stakeholder:innen einbezogen. Die Erhebung der Bewohner:innenperspektive (Senior:innen, Altersgruppe 60+) erfolgte mittels halbstrukturierter Interviews (n=250). Zusätzlich zeichneten narrative Interviews mit sieben Personen detaillierte Wohnbiografien nach. Wohnentscheidungen und Wohnungswechsel im Lebenslauf konnten damit nachvollzogen werden. Die ergänzende Sicht von Expert:innen und Stakeholder:innen wurde in Workshops und Fokusgruppen sowie in Experteninterviews ermittelt.

Zentrale Ergebnisse

Das betreubares Wohnen stellt die attraktivste Wohnform dar. In ihr lassen sich Wünsche nach Privatheit und Autonomie am besten realisieren. Bewohner:innen verfügen über eine eigene Wohnung samt Küche und Sanitärräumen und können, wenn sie es wünschen, an Gemeinschaftsaktivitäten teilnehmen. Die unkomplizierte Buchung unterschiedlicher Betreuungs- und Pflegeleistungen bietet zudem ein hohes Maß an Sicherheit. Auch kommt diese Wohnform der bedarfsorientierten Haltung der Befragten entgegen. Unterstützung soll verfügbar sein, wenn sie tatsächlich benötigt wird. Einen Wermutstropfen stellt die höhere Miete aufgrund der vorgehaltenen Pflege- und Unterstützungsleistungen dar, die von den Senior:innen, die keine Pflegeleistungen beanspruchen, nicht immer akzeptiert wird. Auch Expert:innen und Stakeholder:innen sehen die Wohnform kritisch. Für Wohnbauträger ist sie zwar attraktiv, um relativ einfach Kriterien für die Wohnbauförderungen zu erfüllen. Aber sie geht an der Situation der Senior:innen vorbei, die sich die höheren Mieten oft nicht leisten können. Zudem greifen Senior:innen, für die das Mieten einer betreubaren Wohnung keine finanzielle Herausforderung darstellt, eher auf 24-Stunden-Pflege zurück. Schließlich ist bei steigendem Pflegebedarf ein Umzug notwendig.

Der Garçonnièrenverbund stellt für die Befragten aufgrund der geringen Wohnungsgröße und der reduzierten Ausstattung eine preiswertere Variante des betreubaren Wohnens dar, die auch als bessere Version einer betreuten Wohngemeinschaft wahrgenommen wird. Er bietet die Vorteile einer niederschwelligen Möglichkeit der Vergemeinschaftung in den Sozialräumen und verfügt zugleich über Rückzugsmöglichkeiten in den Privatraum. Auch an dieser Wohnform wird das ausgewogene Verhältnis von Selbstständigkeit und Betreuung geschätzt. Die Freiheit der Tagesgestaltung und die frei wählbare Angebotsnutzung ähnelt mit Bezug auf die Erwartungen der Senior:innen stark dem betreubaren Wohnen. Ist der Stützpunkt gut ausgebaut und rund um die Uhr besetzt, ist zudem bei höherem Pflegebedarf kein Umzug notwendig.

Das betreute Wohnen in Wohn- und Pflegehäusern ist in der Perspektive der Befragten nur schwer vom Wohnen in einem Heim zu unterscheiden. Assistenz, Pflegebedarf im Alltag und der Charakter einer „Vollpension“ stehen im Vordergrund. Da sich das Angebot an Personen mit hohem Unterstützungs- bzw. Pflegebedarf richtet, lehnen viele Befragte das Angebot ab und sehen sich eher in ihrer Selbstständigkeit gefährdet. Auch heute noch schränken Wohn- und Pflegehäuser aufgrund ihrer organisatorischen Strukturen den Spielraum selbstbestimmter Lebensführung ein. Doch die Vorgabe von Zeiten und Angeboten der Tagesmahlzeiten passen nicht mehr zu Menschen, die auch im Alter individuell entscheiden wollen, wann und was sie essen. Großer Vorteil ist, dass bei guter Integration in das Wohn- und Pflegehaus ein Umzug bei hohem Pflegebedarf nicht notwendig ist. Wichtig ist allerdings, dass die Bewohner:innen wissen, welche Leistungen sie über die Miete bereits bezahlt haben und für welche sie zusätzlich bezahlen müssen. Rechnungen für Fußpflege oder Pflege können sonst zu unangenehmen Überraschungen führen.

Große Vorbehalte gibt es gegenüber der betreuten Wohngemeinschaft. Das Teilen von Sanitärräumen, selbst der Küche und das Zusammenleben in einer Gruppe wird problematisch gesehen. Die Dominanz von Gemeinschaft löst bei Personen, die privates Wohnen gewohnt sind, Sorge bezüglich Anpassungsdruck an die Gemeinschaft aus. Sollten Personen im Alter weniger kompromissbereit sein, können Konflikte rasch eskalieren, was zumindest Begleitung bei der Entwicklung der Gemeinschaft voraussetzt. Expert:innen warnen vor dem romantischen Bild einer Wohngemeinschaft, in der gemeinsam gekocht wird und in der die gesünderen Bewohner:innen jene mit größerem Unterstützungsbedarf helfen. Individuelle Speisewünsche und die Tatsache, dass sich ein guter Bewohner:innen-Mix nur sehr schwer über die Auswahl der Bewohner:innen herstellen lässt, erschweren den Aufbau der Wohngemeinschaft. Schließlich ist auch in dieser Wohnform ein Umzug bei höherem Pflegebedarf notwendig.

Insgesamt stellen die Befragten ihre Privatsphäre als entscheidend für die Lebensqualität ins Zentrum. Sie wollen Gewohnheiten, die sich über einen langen Zeitraum entwickelten und festigten, nicht aufgeben müssen.

Ein differenzierteres und ergänzendes Bild zeichnen die narrativ-biographischen Interviews. Wir sprachen mit Kund:innen des betreubaren Wohnens, deren Biografie einem Muster individueller Freiheit und Selbstbestimmung folgen. Lange Krankenhausaufenthalte führten zur Ablehnung jeder institutionalisierten Wohnform (Wohn- und Pflegehäuser). Es finden sich aber auch Personen, deren Biografie von Sozialität und Nachbarschaftliche Beziehungen geprägt ist und die sich das Wohnen im Garçonnièrenverbund und sogar in einer Senior:innen-Wohngemeinschaft durchaus vorstellen können. Selbst vorausschauende Umzüge mit Blick auf mögliche Mobilitätseinschränkungen fanden sich. Dieser aktive Umgang mit dem Altern ist aber selten. Vorherrschend ist eine reaktive Kultur des Alterns, die sich Fragen nach Anpassungen des Wohnsettings erst dann stellt, wenn Krankheit oder Gebrechlichkeit dies zwingend erforderlich machen.

Ausblick

Die Studie machte deutlich, dass in der Bevölkerung wenig Detailwissen über die unterschiedlichen Wohnformen besteht und dass sich die Befragten nur schwer ein über Stereotype hinausgehendes, konkretes Bild vom Wohnen in den jeweiligen Wohnformen machen konnten. Bei entsprechender Beratung und Etablierung im Alltag sehen wir Potential, dass alternative Wohnformen angenommen werden und zu einem zufriedenen Leben im Alter beitragen können.

Hier kommen Sie zur Gesamtstudie