Mobilitätsbezogene Bedarfslagen von Demenzerkrankten, Betreuenden und Angehörigen

In der DeMo-Studie wird erstmals in Österreich die Verkehrsteilnahme von Menschen mit Demenz in den Fokus gerückt. Es werden speziell die kognitiven Mobilitätsbarrieren (z. B. Orientierungslosigkeit, fehlende Gefahrenwahrnehmung oder Verlust des Vertrauens von Angehörigen) von Demenzerkrankten erforscht, um eine möglichst lange eigenständige Verkehrsteilnahme von Betroffenen zu ermöglichen. Dies erscheint besonders wichtig, da Personen dieser Zielgruppe häufig unter dem Verlust ihrer Eigenständigkeit leiden, dabei einen hohen Bewegungs- und Aktivitätsdrang besitzen und eine aktive, eigenständige Mobilität wahrscheinlich positiven Einfluss auf den Krankheitsverlauf hat.

Demenz – eine Erkrankung mit 1000 Gesichtern
Aufgrund der Vielzahl an unterschiedlichen Demenzformen mit ihren unterschiedlichsten Auswirkungen ist die Berücksichtigung des Menschen in seiner Individualität entscheidend. So sind alle Unterstützungsleistungen und Therapieformen geeignet, deren Fokus auf der Förderung vorhandener Ressourcen der an Demenz erkrankten Person liegen, um so eine lange Teilnahme der Betroffenen am sozialen Leben und somit auch am Verkehrsgeschehen zu ermöglichen und um einem Rückzug der Person entgegenwirken zu können.

Die Mobilität der Betroffenen wird durch die Demenzform und ihre Individualität der Erkrankung, das Alter, die Persönlichkeitsstrukturen sowie das Vorliegen anderer Erkrankungen beeinflusst.
Die Wahrnehmung des eigenen Körpers, die Tiefenwahrnehmung, die Einschränkungen der Sinne sowie die zunehmende räumliche und zeitliche Desorientierung führen meist zu einer Vereinfachung der zurückgelegten Wege und zu einer Bevorzugung vertrauter Strecken. Eine Beeinträchtigung des Muskeltonus kann zudem in einer verminderten Bewegungsfähigkeit münden. Oft korreliert der Krankheitsverlauf mit vermehrten Ängsten und Unsicherheiten im Straßenverkehr, aus denen eine nicht adäquate Reaktion der Betroffenen im Straßenverkehr resultieren kann. Aber es gibt auch von Demenz Betroffene, die einen regelrechten Wandertrieb entwickeln. Die räumlichen und zeitlichen Orientierungsschwierigkeiten führen oft dazu, dass Rückwege nicht gefunden werden und Betroffene im öffentlichen Raum hilflos herumirren.

Barrieren im Straßenverkehr
Bei der Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel werden gewohnte Strecken bevorzugt und einfache Wege priorisiert. Im Straßenverkehr lassen sich allgemeine, räumliche sowie auch soziale Barrieren ausmachen, die jedoch meist nicht nur an Demenz erkrankte Personen betreffen, sondern für viele ältere Menschen Hindernisse darstellen können. Räumliche Barrieren stellen dabei nicht oder zu wenig abgeflachte Randsteine, eine zu hohe Einstiegshöhe bei Bussen und Straßenbahnen und zu kurze Ampelphasen dar. Auch Straßenunebenheiten, wie glatte Stellen oder Laub, können als Barriere identifiziert werden. Verwinkelte, nicht klar strukturierte Orte können ebenfalls hinderlich sein und bei Rolltreppen fällt es den Betroffenen oft schwer, ihre Koordination adäquat an die Geschwindigkeit anzupassen.

Ängste und Sorgen der Angehörigen schränken oft die Mobilität der Betroffenen weiter ein.
Viele Ängste und Sorgen der Angehörigen bestehen vorwiegend darin, dass sich die von Demenz Betroffenen, wenn sie alleine unterwegs sind, verlaufen und somit nicht mehr nach Hause finden und beim Autofahren sich selbst und andere verletzen könnten. Die Hilflosigkeit der Angehörigen spiegelt sich in ihrem Verhalten wider, da einige aus Sorge diverse Maßnahmen setzen, um den Betroffenen etwa am Autofahren zu hindern: So werden beispielsweise Autoschlüssel versteckt, die Batterie des Autos ausgesteckt und sogar Reifen aufgestochen. Jedoch hat für viele von Demenz Betroffene der Besitz eines Führerscheins eine zentrale Bedeutung, da somit eine gewisse Form von Autonomie gewährleistet werden kann. Nicht mehr Autofahren zu können, bedeutet also, einen Teil der Selbstständigkeit aufgeben zu müssen, weniger am Leben teilhaben zu können und damit in die Isolation zu gleiten.

Eine lange Aufrechterhaltung der Selbstständigkeit und die Stärkung des Selbstwertes der von Demenz Betroffenen begünstigen nicht nur ihre Lebensqualität, sondern es wird ein wesentlicher Beitrag zur Verlangsamung des Krankheitsverlaufes geleistet.
Zu Beginn der Erkrankung ist eine Förderung der Mobilität gut möglich und auch hilfreich, um den Krankheitsverlauf zu verlangsamen. Aktivierende Programme, Bewegungsgruppen oder auch Gymnastik können einen Beitrag zur Aufrechterhaltung der Mobilität leisten. Ebenso kann eine Aufrechterhaltung der sozialen Kontakte und von Freizeitaktivitäten, wie sportliche, kulturelle oder kreative Tätigkeiten, die vor der Erkrankung von der/m jeweiligen Betroffenen gerne ausgeübt wurden, eine Verlangsamung des Krankheitsverlaufs begünstigen. Um dem Umherirren der Betroffenen, einem häufigen Symptom der Demenz, im öffentlichen Raum entgegenzuwirken, wäre eine einladende, zum Verweilen gestaltete Umgebung vorteilhaft.

Gestaltung des öffentlichen Raumes
Da eine Demenzerkrankung in der Regel mit körperlichen und kognitiven Einschränkungen einhergeht, wäre eine diesbezügliche Gestaltung des öffentlichen Raumes hilfreich. So könnten mehr Verweilplätze im Straßenraum und bei Stationen öffentlicher Verkehrsmittel sowie längere Grünphasen bei Ampeln eine Unterstützung bieten.

Sensibilisierungsmaßnahmen der Bevölkerung und spezieller Berufsgruppen können zu einer Entstigmatisierung der Demenz beitragen.
Demenz ist ein stark angstbesetztes Thema, das leicht zu einer Stigmatisierung der Erkrankten führt. Die Berücksichtigung der individuellen Ressourcen der Betroffenen und ein wertschätzender Umgang können einen wesentlichen Beitrag leisten, um nicht nur die Lebensqualität der an Demenz Erkrankten zu erhöhen, sondern auch den Krankheitsverlauf günstig zu beeinflussen oder zumindest zu verlangsamen. So können Schulungen bestimmter Berufsgruppen, wie PolizistInnen, MitarbeiterInnen von Verkehrsbetrieben, hilfreich sein. In einer akuten Situation soll auf das Bedürfnis der/s Betroffenen eingegangen werden, was aber wiederum eine diesbezügliche Sensibilisierung der Bevölkerung erfordert, indem die/der Erkrankte ein Stück begleitet und mit ihr/ihm gesprochen wird. Durch das Gehen wird zwar die innere Unruhe gemildert, die eigene Müdigkeit wird dabei jedoch nicht wahrgenommen. Eine Ermöglichung des Bewegungsdranges ist wesentlich und so könnte die Desorientierung reduziert werden, indem die Betroffenen begleitet werden, da sie sich dadurch selbst spüren und erleben können. Um den Bewegungsdrang zu mildern, können auch Turnübungen oder andere Aktivitäten hilfreich sein.

Technische Hilfsmittel, die das Gefahrenpotenzial im öffentlichen Raum reduzieren können
Assistenzsysteme, wie GPS-Tracker oder ein speziell entwickeltes Navigationssystem, könnten den Betroffenen bei der Orientierung helfen, indem diese beim Abkommen vom Weg darauf aufmerksam gemacht werden. Auch beim Autofahren können Einpark- und Abstandsassistenzsysteme oder gar selbstfahrende Autos eine Lösung darstellen. Im öffentlichen Raum bedarf es guter Leitsysteme, wie besserer Sprachdurchsagen. Auch im eigenen Zuhause ist das Setzen diverser Maßnahmen, um einerseits Unterstützung zur freien Bewegung zu bieten und gleichzeitig Gefahren zu reduzieren, unerlässlich. Bereits das Anbringen von Haltegriffen oder das Entfernen von Teppichen stellen einfache, aber wirksame Maßnahmen dar.

Das Projekt wurde unter der Leitung von Prof. Georg Hauger vom Fachbereich Verkehrssystemplanung der Technischen Universität Wien, gemeinsam mit MAKAM Research, dem Soziologen Dr. Schlembach und dem Landespflegeheim Wr. Neustadt umgesetzt und vom Bundesministerium für Verkehr, Innovation und Technologie im Rahmen der Programmlinie Mobilität der Zukunft der FFG finanziell gefördert.